Boris Atelier, Boris Fröhlich


Immerather Apokalypse

Meine Darstellung der Apokalypse, so wie ich sie jetzt zeige, hat eine lange Vorgeschichte.

Um 1978 schuf ich zwei Zyklen von je zwölf Lithographien „Steine des Alten Testaments“ und „Steine des Neuen Testaments“. Ich beschäftigte mich intensiv mit der Bibel und dachte über die Auswahl der Motive nach, die den Unterschied zwischen AT und NT sichtbar machen sollten. Diese Motive führte ich auch als kleine Radierungen aus. Für die Themen der Apokalypse fühlte ich mich damals allerdings noch nicht reif genug, machte aber erste Skizzen in diese Richtung.

Aus den Lithographien zum AT und NT entstand einige Jahre später in Zusammenarbeit mit Frau Dr. Annette Schavan das Buch „GOTT IST LICHT“, in dem wir Bibeltext, Bild und Autorentext miteinander verbanden.

Immer wieder beschäftigte ich mich mit dem Gedanken, die Apokalypse-Texte bildnerisch zu erarbeiten. Allerdings ahnte ich, dass dies eine fast unlösbare Aufgabe war, wollte ich mich nicht auf die in allen Epochen künstlerisch bearbeiteten und daher allseits bekannten Motive dieses Buches der Bibel beschränken, sondern einen „kompletten Durchlauf“ der gesamten Apokalypse schaffen. Ausgehend von den Steinen des AT und NT hatte ich anfangs vor, die Motive der Apokalypse in Lithographien auszuführen. Allerdings wollte ich diese Motive farbig gestalten ─ das ließ sich in der Lithographie nicht verwirklichen, da dazu für eine Auflage aller Motive mehr Lithosteine nötig gewesen wären, als ich je hätte beschaffen können!

Meine erste Idee, wie bei den „Steinen des AT und NT“ 12 Motive auszuwählen, hatte ich bald verworfen, auch weil die Zahl der Apokalypse die Sieben ist.

Über Jahre beschäftigte ich mich beständig mit der Auswahl der Motive, und machte mich auf die Suche nach einer für mich passenden Übersetzung des Bibeltextes, die mich inspirieren konnte. Immer wieder konnte ich Gespräche mit verschiedenen mir bekannten Theologen (Weinreb, Schavan, Franzen, v. Rotenhan, Schlembach, Hemmerle) führen, die mir für diese Arbeit wichtige Impulse gaben.

Dann stieß ich auf die Übersetzung von Fridolin Stier. Sein „Die Enthüllung des Johannes“ genannter Text war ein Schlüsselereignis für mich, da dieser sich bei der Übersetzung an das gesprochene Wort der Überlieferung herantastet, ähnlich wie ich bei der „Übersetzung“ in Bilder vorgehe.

Ich kopierte den Text und teilte ihn spontan nach meinen Motiv-Vorstellungen, indem ich Kopien der Textstellen auseinander schnitt und sie in ein Skizzenbuch klebte.

Ich erhielt so 56 Text-Stellen unterschiedlichster Länge ─ und machte sie zur Basis meines Werks.

Ich beschäftigte mich nun noch intensiver mit dem gesamten Text und versuchte mich an verschiedenen Motiven. Es entstand ein Polyptychon großformatiger Pastelle aus Motiven der Offenbarung für das Gemeindezentrum Einsteinstraße in Neuss.

Zunehmend wurde mit klar, warum sich seit 700 Jahren offenbar niemand mehr an die „komplette“ bildliche Interpretation der Apokalypse wagte und verstand auch, warum als Folge der Beschränkung auf die Auswahl der „üblichen“ Motive im allgemeinen Verständnis Apokalypse nur noch „Chaos und Untergang“ bedeutet und nicht eigentlich „Weg zum himmlischen Jerusalem“.

Ich entwarf dann, mit dem Wissen um die Zahlensymbolik, meinen Skizzen folgend, 56 großformatige Bilder (Kohlezeichnungen) in meinem Atelier auf Pietra.

Während dieser Arbeit klärte sich endgültig meine Überlegung zur geeigneten Technik: Ich entschied mich für die Farbradierung.

Gleichzeitig musste ich auch entscheiden, in welcher endgültigen Form meine „Apokalypse“ erscheinen sollte: als Kombination von Bibeltext und Bildtafeln, wieder mit „Texturen“, also eigenständigen Bild – Text – Interpretationen. Dafür musste ein ─ oder mehrere ─ Autor(en) gefunden werden. Mit Superintendent Hermann Schenck und Prof. Dr. Manfred Becker-Huberti fand ich zwei Autoren verschiedener Konfession, mit denen ich schon gearbeitet hatte und die ich für mein Projekt begeistern konnte.

So entstanden über mehr als zwei Jahre parallel die fertigen Radierungen und die Texturen. In einer Auflage von 7 Exemplaren zusammen mit den im klassischen Buchdruck gedruckten Bibeltexten und Texturen der beiden Autoren in aufwendiger Kassette liegen nun die 58 Motive meiner „Immerather Apokalypse“ vor.

Ende 2012 konnte ich Bilder, Texte, Texturen und einige Vorarbeiten in einer einzigartigen Ausstellung im Schlossmuseum in Aschaffenburg zeigen.


Die im Laufe der Arbeit entstandenen Andrucke / Unikate der Bildmotive sind im Atelier auch einzeln erhältlich.


»Die Darstellungskunst Fröhlichs zeichnet sich durch große Klarheit und subtilen Umgang mit der Farbgebung aus. Sie werden sehen, dass sich dieser Bilder auch in ihrer Erzählweise eng an den Stil des biblischen Textes anlehnen, Die einzelnen Blätter sind für sich genommen schwer zu deuten. Erst mit dem Text, den Texten erschließt sich ihre Bedeutung. Wir haben also keine dienende "Illustration" vor uns, sondern Werke voller Eigenleben, die sich zugleich aber nicht über den Text erheben, sondern quasi die Zwiesprache suchen. Entstanden sind Bildwerke von zeitloser Zeichenhaftigkeit, eine Folge gültiger Interpretationen, Chiffren dieses überzeitlichen Textes.

Die Farbakkorde in Fröhlichs Werk erinnern in ihrer reinen, entschieden gegeneinander gestellten Form an frühe Malerei, auch an die Glas- oder Emailmalerei oder an die Mosaikkunst. Seine Kunst ist somit verwandt mit jenen Bereichen, in welchen seit alters her Geschichten erzählt wurden: klar im Umriss erfassbar und suggestiv. Hier wie dort waren und sind es Bilder, die durch Gestaltung von Form, Farbe, Licht sowie der Interaktion der Figuren, das Fenster in transzendente Welten öffnen und einen Blick hinter den Vorhang ermöglichen. Der beständige, bohrende Wille, eine gültige Form für die übergroßen Bilder des biblischen Textes zu finden, ist in beinahe allen Blattern dieses Zyklus zu spüren.

Wir brauchen den Übersetzer, wir brauchen die helfenden Autoren, die Bilder. Und mit ihrer Hilfe kann man in den kommenden Wochen in der Ausstellung die Jahrtausende der Kunst und der Philosophie prägende Textüberlieferung der Apokalypse in ihrer Fülle studieren und bemerkt dabei: „wie zeitaktuell, wie nahe bei mir!"«

Dr. Thomas Richter, Museumsdirektor Aschaffenburg. Rede zur Eröffnung der Ausstellung am 27.11.2012


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